Kurt Frank
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Max Fürst, Schriftsteller. Mit HAP Grieshaber an der Bernsteinschule tätig schreibt in der von der Galerie Lutz herausgegebenen Arbeit “Frank” über den Bernstein:

Das Kloster Bernstein

liegt in Südwürttemberg abseits der großen Straßen, in der Mitte eines Dreiecks der Städtchen Sulz, Balingen, Haigerloch. Kam man von Sulz oder Balingen, den Bahnstationen, so lag es so eng in den Berg geschmiegt, daß es erst auftauchte, wenn man schon beinahe davorstand. Stille und Abgelegenheit hatten wohl auch die Laienbrüder gesucht, als sie das Kloster gründeten.

Dennoch sah man aus jedem Fenster weit in das Tal hinaus. Unerklärlich ist mir immer geblieben, wie der Gedanke entstehen konnte, in dieser Gegend eine Kunstschule für den Staat Württemberg-Hohenzollern einzurichten. Es wird wohl kein tieferer Sinn dahinter zu vermuten sein, als der Ehrgeiz von Lokalgrößen und das leerstehende Gebäude. lm Krieg war es Arbeitslager gewesen und dann beschlagnahmt von der französischen Besatzungsmacht, die es für den Zweck einer Kunstschule freigab. Als das kurzlebige Glück eines südwürttembergischen Staates mit der Hauptstadt Tübingen zu Ende war, wußte schon keiner mehr recht, was mit diesem romantischen Plan gemeint war.

Inzwischen gab es aber Schüler, heimgekehrte Soldaten und einige Mädchen; man hatte sie mehr schlecht als recht in dem unterrichtet, was in dieser idyllischen Gegend als moderne Kunst galt. Als die Schule dann plötzlichüberflüssig war und aufgelöst werden sollte, standen sie nach vielen vertanen Jahren wieder vor dem Nichts. Grieshaber ließ sich bewegen, die Schule für zwei Jahre zu übernehmen und die Schüler zu einem Abschluß zu bringen.

Jetzt begann ein neues Leben auf dem Bernstein. Grieshaber setzte seine ganze Dynamik ein. Gleichzeitig aber wurde die Schule jetzt von allen Seiten angefeindet und von der Regierung in Tübingen nur lau verteidigt. Moderne Kunst auf dem Bernstein war für diese Gegend wie der Teufel in der Kirche. Polizisten und Landrat überboten sich an Schikanen. Trotzdem gelang es Grieshaber mit großem Elan, innerhalb kurzer Zeit jeden Schüler so weit zu fördern, daß er selbständig wurde, sei es als Designer in Textil oder anderem Gewerbe, oder als freischaffender Künstler, oder beides.

Als ich 1951 auf den Bernstein kam, war diese Periode beendet. Grieshaber hatte einen neuen Plan: den Bernstein weiterzuführen als ein Zentrum für seine Schüler und andere Künstler. Einige sollten dort wohnen und ihn offenhalten für die anderen, die sich zeitweise dorthin zurückziehen wollten. Es entstanden die Bernsteindrucke, Schattenspiele, und viele Pläne wurden geschmiedet. Normalerweise wohnten nur sechs Leute dort, aber unversehens waren es fünfzehn bis zwanzig, die sich dort trafen.

Es gab dreizehn Zellen, in denen man wohnen und arbeiten konnte, einige Werkstatträume im Parterre und die Kapelle, die auch zeitweise als Atelier benutzt wurde; sie war lange Jahre Kornspeicher gewesen. Es gab einen langen breiten Gang, an dem die Zellen und Wirtschaftsräume lagen, mit einem roten Ziegelboden mit handgestrichenen Ziegeln, auf denen man noch Hand - und Fußabdrücke der Handwerker sehen konnte. Der barocke Bau war von Handwerkern aus den Dörfern gebaut. Mit großer Unbefangenheit waren die Türstöcke unwinklig gemauert und die Türen den Türstöcken angepaßt. Diese  Unregelmäßigkeiten belebten den Gang, der nie den Gedanken an die sture  Gleichförmigkeit von Kasernenbauten aufkommen ließ. Dazu trugen auch
die großformatigen farbigen Holzschnitte Grieshabers bei, mit Zimmermanns nägeln an die Wände genagelt, für mich unvergeßbare Eindrücke. Ich hatte aus den Jahren des Expressionismus eine große Liebe für Grafik. Auch waren diese  Holzschnitte die erste Neue Kunst, die ich nach meiner Rückkehr nach Deutschland sah. Sie waren für mich die Fortführung der unterbrochenen Tradition der Moderne. Ich konnte mich nicht satt daran sehen.

Es war eine lebendige Einsamkeit auf dem Bernstein. lm Winter, wenn alles tief verschneit war, sah man tagelang kein Auto auf der Straße. Mühsames Heizen der primitiven Eisenöfen in den Zellen. lm Sommer verirrte sich ab und zu ein Fremder in das Kloster, wollte Barock sehen, und sein Blick blieb an der neuen Kunst haften. Wir führten dann lange Gespräche, die ihre Vorstellung von Kunst revidierten. Nachholbedarf nannte ich es, wenn ich wie ein echter Laienbruder über die Notwendigkeit redete, die Gehirne „aufzuräumen“.

Wir gewannen uns Freunde in der Gegend. Ich erlebte intensiv wie noch nie den Wechsel der Jahreszeiten, sie wirkten unmittelbar in den Bau hinein. Die weiße Kälte des Winters ebenso wie die  grüne, kühle Wärme des Sommers. Die Armut hatten uns die Mönche vererbt, ebenso die Feste, wenn im Sommer, aber auch im Winter durch Kälte und Schnee Gäste kamen.  Ich war mit einiger Skepsis hingekommen, um die Wirtschaft zu führen. Das  tat ich auch und gewann nebenbei eine neue, kämpferische Zuversicht zu  meinem neu beginnenden Leben in Deutschland.